Fredas Auszeit – Jetzt erst recht!

 ACHTUNG: Nix für schwache Nerven

„Ich glaube, dass Namibia dich nicht haben will“, hat meine Mutter die Tage gesagt und langsam glaube ich das selber…

Ihr wundert euch sicher, warum ich solange keinen Artikel mehr veröffentlicht habe? Eigentlich war der Neueste bereits geschrieben, zumindest in meinem Kopf. Mit der Glanzvollen Überschrift: "Minus und Minus ergibt Plus – oder wie ich stärker aus der Krise hervorging"
Ich wollte stolz mein Arbeitsvisum präsentieren, einen kleinen Rückblick auf die vergangenen Monate geben und mit ganz viel Zuversicht und Vorfreude in die Zukunft blicken…

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt – ein Rückblick

Ok, den Rückblick kann ich euch natürlich trotzdem geben. Ich versuche dabei nicht allzu selbstmitleidig zu klingen und werde mich auf die Fakten beschränken, um fünf Monate in einem Artikel unterzubekommen.

Ende September 2020 war ich für eine Woche in Windhoek, um mit der Agentin zusammen mein Workpermit abzuholen. Ich war sehr besorgt da meine Aufenthaltsgenehmigung bald ablaufen würde, aber sie erwiderte lachend, dass das alles kein Problem sei: „Zur Not gehe ich für dich in den Knast – No Worries!“. Leider hat diese Agentin, aus Rehoboth, mit dem Namen „Mercy“ (den ich hier publiziere damit nicht noch jemand auf diese Frau hereinfällt) uns nach Strich und Faden verarscht. Sie hat nämlich einfach gar nichts gemacht, außer unser Geld zu nehmen natürlich. Das Work-Permit war also keinesfalls eingereicht und auch die sonstigen Unterlagen, die sie organisieren wollte waren niemals vollständig.

Somit stand ich an einem warmen, sonnigen Wintertag am Schalter beim Ministry of Homeaffairs einer extrem unfreundliche Dame gegenüber, die mir klarmachte, dass ich bei Einreichung des Visums überhaupt nicht im Land sein durfte, dass das mein Arbeitgeber erledigen müsste und dass die Grenzen ja jetzt wieder offen wären…
Der letzte Strohhalm, die Verlängerung meines Tourie-Aufenthalts wurde am nächsten Schalter mit noch unfreundlicheren Worten und in einer extrem unangemessenen Lautstärke verweigert: „Sie haben genug Urlaub gemacht – Verlassen Sie unser Land SOFORT!“

Ich stand wie der Ochs vorm Berge. Ich wurde also rausgeschmissen?! Ernsthaft? Ich musste wieder nach Deutschland?! Ich konnte und wollte es nicht glauben! Nichtsdestotrotz, am kommenden Montagnachmittag buchte ich einen Flug und Mittwoch um 8 Uhr morgens saß ich bereits in einem fast leeren Flieger nach Frankfurt. Mein Hund Cooper sollte auf der Farm bleiben, sowie die meisten meiner Sachen. Als ich eine Woche zuvor meine Tasche packte, war diese für einen Urlaub in Swakopmund vorbereitet und nicht für eine überstürzte Flucht…

 

Im Flugzeug saßen nur 40 Fluggäste

Zurück „nach Hause“

In Deutschland hatte ich das Glück mietfrei in der alten Wohnung meiner zuvor verstorbenen Omi, in meinem Heimatdorf, wohnen zu können. Die Wohnung war zwar gerade eine Baustelle, ohne Küche und nur mit einer Matratze im Wohnzimmer, aber es gab eine Heizung, warm Wasser und Internet. Was braucht man mehr?

In vier Wochen bin ich ja wieder in Namibia…

… so hoffte ich. Die neue Agentin hörte sich wesentlich zuverlässiger an und hatte gute Empfehlungen vorzuweisen. Somit setzte ich mal wieder all meine Hoffnung in ihr Geschick, es lag ja schließlich auch nicht mehr in meiner Hand – ein unerträglicher Zustand!

Die ersten vier Wochen gingen rasend schnell vorbei. Die ganze Corona Hysterie in Deutschland war neu für mich, da wir auf der Farm und auch in Windhoek kaum Berührungspunkte damit hatten. Es waren halt keine Gäste da, aber ansonsten dachte man kaum darüber nach. Auf Koiimasis war immer ausreichend zu tun und in der Stadt gab es genug Abwechslung und jede Menge nette Menschen um einen herum.

Schlimmer geht immer

Da die folgenden Ereignisse eher privaterer Natur sind, fasse ich mich jetzt etwas kürzer und gehe in chronologischer Reihenfolge vor.

Anfang November machte mein Freund, den ich in Namibia kennen gelernt hatte via WhatsApp mit mir Schluss und verweigerte mir bis jetzt jegliche Aussprache. Am nächsten morgen fuhr mich meine Mutter ins Krankenhaus, weil ich plötzlich unter unerträglichen Unterleibskrämpfen litt. „Das ist alles nur in meinem Kopf,“ dachte ich… Zwei Stunden später wurde ich notoperiert, weil mir eine 10cm große Endometriose Zyste im Unterleib geplatzt war. Die ekligen Details erspare ich euch. Ich verbrachte eine Woche im Krankenhaus und zwei weitere Monate im Bett, da meine Genesung leider sehr langsam voranschritt.

Am 22. November starb Farmhund Flo, mit dem ich so viele unbeschwerte Stunden auf Koiimasis verbracht hatte. Koiimasis wird nie wieder das gleiche sein, ohne dieses wunderbare Geschöpf!


Hier ein paar kleine Erinnerungen, an einen ganz besonderen Freund

Die Weihnachtszeit stand vor der Tür und ich war immer noch ans Bett gefesselt. Einen Tag vor dem ersten Advent verstarb dann mein Vater. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung. Ich habe es bis heute nicht wirklich realisiert und werde hier auch nicht weiter darauf eingehen. Viele sprachen hierbei von „Glück im Unglück“, weil ich ja jetzt in Deutschland war, aber ich würde eher so etwas sagen wie: „minus und minus ergibt Plus“, um dem ganzen noch etwas Gutes abringen zu können, denn mit Glück hatte das alles ganz sicher nichts zu tun. Aber ja, immerhin konnte ich so meine Mutter unterstützen und wir haben uns gegenseitig viel Halt gegeben, um diese schlimme Zeit zu überstehen.

Neue Pläne mussten her

Anfang Januar fühlte sich zumindest mein Körper wieder gesund an und die ersten Reitversuche auf dem Haflinger einer Freundin gelangen auch schmerzfrei. Ich hatte zwar bis dato behauptet, dass ich erst wieder mit einem gültigen Arbeitsvisum nach Namibia einreisen würde, aber ich hielt es im perspektivlosen, kalten Corona-Deutschland einfach nicht mehr aus. Die Planungsphase gab mir neue Kraft noch zwei weitere Monate durchzuhalten. Ich shoppte das Internet leer und machte mir jede Menge Gedanken zu Mitbringseln, Übergepäck und Co.

Home sweet Home

Am dritten März landete ich endlich in Windhoek und vereinbarte als erstes einen Frisörtermin, denn das war im deutschen Lockdown ja noch unmöglich. Ich traf mich mit echten Menschen, an öffentlichen Plätzen und Restaurants wo man freundlich bedient wurde und echtes Bier nach deutschem Reinheitsgebot serviert bekam – Namibia Himmel auf Erden!

In Deutschland zu diesem Zeitpunkt unmöglich

Zwei Tage später ging es endlich Richtung Farm wo mich am späten Abend mein kleiner Cooper überschwänglich begrüßte. Ok, klein war er nicht mehr und auch nicht mehr ganz so schlank wie zuvor. Er war ein ganzes Stückchen gewachsen und sein Welpengesicht war gänzlich verschwunden. Trotzdem war er immer noch das süße, kluge, aufgeweckte, verschmuste Energiebündel welches ich vor fünf Monaten zurückgelassen hatte. 

Noch einmal Danke an die Babysitter Addie, Tommy und Anke

Als wäre ich nie weg gewesen folgte Cooperkie mir ganz selbstverständlich zu unserem Haus und checkte direkt mit einem Blick über seine linke Schulter ob noch Wasser in seinem Napf war, so wie immer. Dann ließ er sich auf seinen Hundeplatz fallen und schnarchte die Nacht ganz entspannt durch. Am nächsten morgen begangen wir unser tägliches Morgenritual: ich rollte die Yogamatte aus und er ließ sich dort erstmal ausgiebig kraulen, bis er sich auf den Befehl: „Geh auf dein Plätzchen“, wieder auf seine Decke verzog und abwartete bis ich meine Übungen beendet hatte – als wäre ich nie weg gewesen.

Schönster Hund der Welt

Bandsalat

Nun hatte ich knapp drei Wochen Zeit mich einzugewöhnen und alles wieder unter meine Fittiche zu bekommen. Ich gebe zu, die ersten paar Tage waren etwas merkwürdig. Natürlich ist die Zeit auf Koiimasis nicht stehen geblieben, so wie bei mir. Es kamen viele Gefühle hoch, die ich die letzten fünf Monate auf Eis gelegt hatte. Wie bei einem alten Kassettenrecorder hatte ich auf die Pause Taste gedrückt. Nun machte es plötzlich „Klack“ und die Geschichte ging abrupt weiter. Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug – um bei der Kassettenmetapher zu bleiben: als würde die Vorspulen-Taste klemmen.

Im April kamen drei Volontäre und ein Reitgast an und wir hatten eine tolle Zeit. Hier lasse ich einfach Mal ein paar Bilder sprechen…

Ein paar Impressionen von unserer Tour, natürlich mit den obligatorischen Gruppenfotos

Fleißige Volontäre

Ein verhängnisvoller Ritt – manchmal hat man es einfach im Urin

Dieses Bauchgefühl, dieses verflixte Grummeln auf das man viel öfter hören sollte… Es war der 28ste April, der letzte Reittag für eine meiner Volontärinnen. Da sie am nächsten Tag nach Windhoek aufbrechen würde, hatte sie sich noch einen letzten schönen Ausritt gewünscht. Die sogenannte „Bianca Runde“ – benannt nach ihrer Erfinderin, die wir am allerersten Tour Tag gemacht hatten. Leider stand der Ritt unter keinem guten Stern. Es passierten viele Kleinigkeiten, die alleine nicht der Rede wert gewesen wären, in Summe aber an genau diesem Tag und an genau dieser Stelle zu einem schlimmen Ausgang geführt haben.

Eine Mitreiterin war an diesem Tag ausgesprochen nervös. Das übertrug sich unweigerlich auf mich und somit auch auf mein Pferd. Ich ritt mein Lieblingspferd Josh – obwohl ich vorher noch überlegt hatte vielleicht den faulen Hengst Doc zu reiten, damit dieser mal wieder ein bisschen mehr Training erführe. Josh, mein hübsches, sensibles Wildpferd, welches die letzten vier Wochen draußen im Feld war, da er aufgrund einer Bisswunde nicht reitbar gewesen ist. Die Verletzung war endlich wieder genesen und ich wollte an diesem besonderen letzten Tag eben meinen Liebling reiten…
Nach etwa zwei Stunden Ritt kurz vor dem letzten Tor wurden die verschwitzten Pferde von einer Meute gieriger Fliegen heimgesucht, was ihren Stalldrang noch einmal verstärkte. „Ich mache das Tor auf!“, rief ich vielleicht etwas zu leise und wollte danach eigentlich die Letzten 200 Meter zu Fuß gehen. Da war aber schon längst jemand anderes abgestiegen und machte sich am Gatter zu schaffen. „Ach ja, was soll schon passieren, sind ja gleich am Stall“, dachte ich und lenkte mein Pferd um die Kurve.

Nun ging alles sehr schnell. Ich erzähle den Vorfall aus meiner Perspektive und gebe nur das wieder was sich in mein Gehirn eingebrannt hat.
Der Volontär, der das Tor geöffnet hatte stieg wieder aufs Pferd und hatte den Zügel nicht richtig über den Kopf seines Pferdes geschwungen. Der geschlossen Stoffzügel hing über dem rechten Ohr seines schwarzen Quarterhorse Wallachs. Ich drehte mich im Sattel herum, um ihn darauf hinzuweisen. Was letztendlich der Auslöser war ist nicht mehr zu sagen, denn die Pferde vollführten einen urplötzlichen Blitzstart. Eine Reiterin schrie vor Schreck laut auf, die zwei vorderen Pferde rasten Richtung Stall. Unsere Reit-App hat über 50 Stundenkilometer gemessen. Der Reiter neben mir fiel vom Pferd und mein Painthorse fing, aus einem panischen Jagdgalopp heraus, an zu buckeln. Ich hatte keine Chance. Ich verlor jegliche Kontrolle und sah den Boden näherkommen. Da Josh leider zu der etwas kleineren Sorte Pferd gehört, blieb mir, als ich über seinen Hals nach vorne geschleudert wurde, keine Zeit mehr mich in der Luft zu drehen und ich schlug mit meinem Kinn auf den festen Sandboden.

Mir war sofort klar was passiert war. Das hört sich jetzt vielleicht etwas verrückt an, aber ich fand mich in Sekundenbruchteilen mit der Situation ab. Ich hatte ein lautes Krachen gehört und spürte wie der Knochen meines Unterkiefers in meine Zunge stach. Ich fühlte den grobkörnigen Sand in meinem Mund und schmeckte das rostige Blut. Ich setzte mich auf und fühlte einen Schwall heißer Flüssigkeit aus meinem Mund hinauslaufen. Sand und Zahnsplitter wurden mit hinausgespült, meine Reithose würde wohl niemals wieder sauber werden. Ich blickte nach vorne, aber die Pferde waren längst weg. Ich nahm das Handy aus meiner Bauchtasche, wählte die Nummer meines Chefs und reichte es dem Volontär der sofort zu mir geeilt war. Wulff war innerhalb weniger Minuten am Ort des Geschehens. Ich stieg in seinen Land Cruiser und versuchte ihn nicht allzu schlimm vollzubluten.

Cool bleiben und Plan machen

„HUHHEUG“, war das einzige was ich in dem Moment sagen konnte „HUHHEUG – HUHHEUG“. Es musste ein Flugzeug her um mich abzuholen, die 9 Stunden Autofahrt bis nach Windhoek würde ich nicht überstehen, das wusste ich.

Aber erstmal der Reihe nach. Wulff fuhr mich zum Farmhaus, wo ich vor Ankes Küche auf dem Boden im weichen Sand Platz nahm und dort auch nicht mehr wegwollte. Ich wurde sofort mit Kissen, Decken und Kühlpacks versorgt, während Wulff das Flugzeug organisierte. Dies stellte sich schwieriger raus als gedacht, da die Maschine nicht ohne Versicherungsnachweis in die Luft geht. „Ich bin eine verdammte Touristin aus Deutschland – was denken die wohl? Natürlich bin ich versichert!“, schimpfte kaum verständlich. 40.000 Namibia Dollar sollte der Transport kosten und ob das OK wäre, wurde ich gefragt. „Verflixt natürlich ist das OK“, grunzte ich. Das sind keine zweieinhalb Tausend Euro, selbst wenn es das fünffache gekostet hätte, hätte ich das zur Not aus eigener Tasche bezahlt – Sch*** auf Geld! Der Schock war mittlerweile verflogen und die Schmerzen setzten ein. Ich wollte nur noch unter Drogen gesetzt werden und Schlafen, nichts anderes.

Panorama Flight inklusive

Farmerin Anke sauste los und packte eine Reisetasche für mich, Cooper wurde bei den Volontären untergebracht und dreieinhalb Stunden nach dem Unfall fuhren wir los zur Nachbarfarm Kanaan, da die dort eine professionelle Landebahn hatten. Die Fahrt war kaum auszuhalten, aber ich blieb tapfer und gab nur bei ganz schlimmen Bodenwellen unterdrückte Schmerzlaute von mir. Als wir nach einer halbstündigen Fahrt über buckelige Farmstraßen aus dem Auto stiegen und die 10-12 Meter zu der soeben sicher gelandeten Beechcraft Propellermaschine gingen, verließen mich zum ersten Mal meine Kräfte und ich musste gestützt werden. Ich hatte schließlich seit 9 Uhr morgens nichts mehr getrunken. Mittlerweile war es 16 Uhr und ich hatte recht viel Blut verloren. Die zwei Rettungssanitäter im Flugzeug waren sehr nett, wirkten aber etwas überfordert. Später erfuhr ich, dass die Maschine nicht zur Rettungsflotte gehörte, sondern ein vom Reiseanbieter Desert Air gecharterter Urlaubs-Flieger war. Die Kommunikation mit den beiden jungen Männern gestaltete sich auch etwas schwierig, weil mein Mund ja die ganze Zeit offenstand und sich immer wieder mit Blut füllte, welches mir dann lauwarm in den Ausschnitt tropfte. Irgendwann ging ich dazu über meine Fragen und Antworten ins Handy einzutippen: „Wanna sit up for landing that my head does not bump.“

Leider konnte ich den Ausblick nicht wirklich genießen

Innerhalb von nur einer Stunde erreichten wir Windhoek und landeten auf dem kleinen, innerstädtischen Flughafen Eros. Beim Aussteigen aus dem Flieger stieß ich mir heftig den Kopf – na prima auch das noch. Mit dem Krankenwagen ging es zum Römisch-Katholischen Krankenhaus mitten in der Hauptstadt. Zum Abschied wünschten mir die beiden Sanitäter viel Glück und bemerkten, dass ich jetzt immerhin eine coole Geschichte zu erzählen hätte…

Der Doktor und das liebe Vieh?

In der Notaufnahme angekommen begrüßte mich nach einigen Minuten ein deutsch sprechender Mann mittleren alters und stellte sich als mein Chirurg vor. Der Mann trug Shorts, Tennissocken, Sandalen und ein blaues Poloshirt, seine Haare waren verwuschelt und er wirkte zwischen den adrett in dunkelblau gekleideten Krankenschwestern irgendwie wie ein Farmer. „Da hätte mich auch gleich der Tierarzt auf der Ranch zusammenflicken können“, war mein erster Gedanke, als ich dem Doktor die Hand schüttelte.

Die OP war für 20 Uhr angesetzt und alle im Saal sprachen deutsch. Alle mit diesem typischen namibia-deutschen Singsang, den ich immer so gerne hörte. Die Anästhesistin erzählte mir etwas von ihren eigenen Pferden und Schwups war ich weg. Gegen halb eins nachts wurde ich unsanft von den Schwestern geweckt, weil sie meine Infusion erneuern mussten. Ich hatte ein Kühl Pack um den Kopf und fühlte mich… Ja wie fühlte ich mich eigentlich? Ich kann es gar nicht so genau sagen. Das einzige was ich wusste war, dass ich jetzt erstmal überhaupt keine Pläne machen konnte, sondern nur von einem Arzttermin zum Nächsten Informationen erhalten würde, um zu schauen wie es jetzt mit mir weiter gehen sollte.

Super Kostüm für nen Zombie-Walk

„HAUHAAA“ – Ja, „Bauer“ ist ein ganz blöder Nachname, wenn man den Kiefer nicht bewegen kann

Am nächsten Morgen sah Dr. Koepp nach mir, der Chirurg den ich am Tag zuvor im Morphiumrausch für einen Tierarzt gehalten hatte. Mittlerweile trug er eine lange Hose, Lederschuhe, ein schickes Hemd und war ordentlich frisiert. Da hatte man ihn am Vortag wohl aus seinem wohlverdienten Feierabend geholt.

Der Doktor ließ sich viel Zeit mir zu erklären was mit mir passiert war: „Schlimmer hätten Sie es nicht machen können“, wiederholte er immer wieder. Mein Unterkiefer war vorne mehrfach gebrochen, wodurch auch ein Nerv schwer in Mittleidenschaft gezogen wurde. Schlimmer war aber das linke Kiefergelenk. Das war so kompliziert verschoben, dass er über drei Stunden operieren musste. „Der Knochen ist wieder an Ort und Stelle, bei mir sind sie jetzt fertig, aber sie werden noch viel Zeit beim Zahnarzt verbringen müssen. Auch die Zähne hat es wesentlich schlimmer getroffen als ich zuerst dachte. Sie haben mindestens sechs Zähne beschädigt, drei davon schwer. Der Eckzahn unten rechts war sogar ganz raus, wir haben ihn wieder hineingesetzt, aber ich weiß nicht wie lange der noch aushält, hier werden Sie sicher früher oder später ein Implantat benötigen. Außerdem war Ihre Lippe komplett durch, da konnte man richtig hindurchschauen und die Stelle unter Ihrem Kinn war auch bis zum Knochen auf“, erklärte er. Spielen Ärzte solche Situationen nicht normalerweise runter? Bei meiner letzten OP im November habe ich den Chefarzt vielleicht 30 Sekunden lang zu Gesicht bekommen und er hat nur das übliche Bla Bla abgespult und sich sichtlich wenig interessiert. Das war in Namibia anders – zum Glück! Im Nachhinein erfuhr ich, dass dieser Doktor DIE Koryphäe auf dem Gebiet der Kiefer- und Gesichtschirurgie im Land ist und ich ausgesprochenes Glück hatte direkt auf seinem Tisch gelandet zu sein. Ich fühlte mich tatsächlich sehr gut aufgehoben und versorgt. Auch bei den Terminen in seinem Sprechzimmer, empfand ich mich extrem gut beraten und habe sogar Fragen beantwortet bekommen zu Kieferbeschwerden die lange zurücklagen. Auch das Krankenhaus machte einen sehr modernen und ordentlichen Eindruck, außer dass sie dort wirklich freigiebiger mit den Schmerzmitteln hätten sein können. Als ich vor Schmerzen nicht mehr schlafen konnte, haben sie mir eine fette Spritze in den Po verpasst – naja solange es wirkt – hallo Traumland!

Mein aktuelles Röntgenbild – mal schauen ob das jetzt am Flughafen piepst

In Deutschland wäre das niemals so schnell gegangen – Namibia 12 Points!

Der Doktor war so nett und organisierte den ersten Zahnarzttermin für mich, denn nach zwei Nächten konnte ich bereits entlassen werden. Vom Krankenhaus aus fuhr ich direkt in eine sehr moderne Zahnklinik, wo die erste Zahnärztliche Notversorgung stattfand. Fünf Tage später war die Schwellung bereits deutlich zurück gegangen und auch die Mundöffnung funktionierte wesentlich besser, man konnte mich mittlerweile wieder verstehen, nur Lachen war noch unmöglich. Die Zahnärztin die mich behandelte war auch bei meiner OP dabei gewesen, auch eine deutschsprachige Namibierin, die sich viel Zeit ließ mir alles genau zu erklären und größtes Mitleid mit meiner Situation hatte. Insgesamt hatte ich fünf Termine und beim Letzten wurden mir zwei totschicke neuen Kronen eingesetzt.

Nach drei Wochen konnte man kaum noch was sehen

Meine Rekonvaleszenz verlief erstaunlich schnell. Als ich mit dem Kopf im Sand steckte, dachte ich noch, dass ich monatelang größte Probleme haben würde, aber nach exakt zwei Wochen ging es schon wieder zurück zur Farm. Ich hatte natürlich noch Schmerzen und auch der Nerv an der Bruchkante würde noch viele Monate taub bleiben, wie der Arzt prophezeite: „Rauchen Sie? Nein? Das ist gut, sonst würde Ihnen immer die Zigarette aus dem Mund fallen“, zum Glück brauchte ich auf der Farm auch keinen Lippenstift, womit der äußere Anschein gewahrt blieb. „Sechs Wochen kein Kontaktsport, das schließt auch Reiten mit ein!“, wurde mir noch auf den Weg gegeben „und bevor Sie wieder in ihr Heimatland fliegen möchte ich sie noch einmal sehen!“

Cooper begrüßte mich ganz sanft und vorsichtig
 

Ach ja, mein Heimatland…

… mein Wahlheimatland möchte mich ja anscheinend nicht haben und sendet mir jede Menge Botschaften bloß fort zu bleiben. Neben all diesen metaphorischen Hinweisen mit dem Zaunpfahl, musste ich auch auf der zwischenmenschlichen Ebene einiges hinzulernen und erkennen, dass man eben nicht jedem trauen kann. Egal wie viel er oder sie einem verspricht, egal wie nett er oder sie wirkt, egal wie gerne man sich auf ihn oder sie verlassen möchte. Ich habe auf schmerzhafte Weise viel über die Menschen und auch über mich selbst lernen müssen. Aber ich weiß mittlerweile auch wer meine wahren Freunde sind und dass ich niemals alleine bin. Selbst wenn ich manchmal das Gefühl habe keiner hört und sieht mich, so weiß ich doch, dass ich stark genug bin es allen zu zeigen!

Zu dem Zeitpunkt als ich diesen Artikel schrieb, hatte ich noch immer kein Arbeitsvisum. Dank meines guten Doktors aber zumindest einen Plan B, wie ich meinen touristischen Aufenthalt ganz legal um weitere drei Monate verlängern könnte: Ausreise nicht empfohlen wegen fortlaufender medizinischer Behandlung!
Zum Zeitpunkt der Publikation dieses Artikels war aber auch dessen Ausgang ungewiss. Also drückt mir die Daumen, denn ich lasse mich nicht vertreiben. Wenn das ein Test ist, ob ich Afrika gewachsen bin, dann werde ich mich nicht unterkriegen lassen und weiterkämpfen – Garantiert!

Das erste Mal nach dem Unfall wieder auf dem Pferd - pssst, nicht dem Doktor verraten. Aber ich musste den Volontären etwas zeigen.

 

Kommentare

  1. UPDATE: Mittlerweile habe ich mein Workpermit bekommen und darf die nächsten zwei Jahre ganz legal in Namibia bleiben! Ich bin super happy und freue mich, wenn ihr mich alle mal besuchen kommt :)

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  2. Wow wie eindrucksvoll! Und so toll, dass alles nochmal gut ausgegangen ist. Dein Mut ist bewundernswert. Du kannst wahnsinnig spannend schreiben! Weiter so! 👌😍

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  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  4. Durch Facebook bin ich auf deinen Block gestoßen.... Wow, du bist echt eine Kämpferin. Und so toll geschrieben, ich hatte das Gefühl live dabei zu sein. Ich wünsche dir alles Gute und drücke dir feste die Daumen, dass sich alles gut weiterentwickelt 🍀🍀🍀. Leider weiß ich nicht, wie man hier einen Namen einfügt... Liebe Grüße von Tanja (bei FB Rüdiger Rüpelrüde 😅)

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  5. Wow liebe Freda 😊😯 was für eine beeindruckende Geschichte und wie wunderbar du das alles gemeistert hast. Aufgestanden, Krönchen gerichtet und weiter. Ich bewundere dich. Du bist die Tanja Blixen der Neuzeit 👏🥰🌸

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