Kleine nicht so alltägliche Alltagsgeschichten – Teil 7


„Was passiert eigentlich, wenn du dich mal ernsthaft verletzt?“ Das haben mich viele gefragt. Ich wusste nie so recht was ich darauf antworten sollte, bisher war es ja auch noch nicht vorgekommen – bisher.

He´s fine. No bucking!

Auf Koiimasis darf ich leider nicht nur die braven Lämmchen reiten, sondern habe auch das Vergnügen die relativ frisch angerittenen Pferde zu trainieren, denen unser einheimischer Pferdetrainer Imanuel die ersten Verrücktheiten bereits ausgetrieben hat, bzw. haben sollte... 

Kurz nach meiner Ankunft im Januar, stellte er mir ein Paint Horse mit einem halb abgebissenen Ohr vor. Ich taufte ihn gleich auf den Namen Vincent, nach Vincent van Gogh! Er war bereits seit einer Weile unterm Sattel und reif von mir feingeschliffen zu werden. „He´s fine. No bucking“, war Imanuels wortkarge Aussage. Ok, dann geht’s mal los – dachte ich und betrat mit Halfter und Strick bewaffnet seinen Paddock. „Eine schöne Hinterseite hast du“, sagte ich in beruhigendem Tonfall „magst du mir dann bitte auch noch deinen Kopf zudrehen?“ Nein, mochte er nicht. Dieses Pferd wollte sich partout nicht halftern lassen. Ich musste erst ein Rope (= Lasso) holen und ihn damit einfangen, weil er mir beim Versuch mich zu nähern, bedrohlich den Arsch zudrehte oder Rückwärts an mir vorbeischoss. Beim Handling am Boden war er sehr nervös und schreckhaft. Ich ließ mich davon aber nicht sonderlich beeindrucken und redete beruhigend auf ihn ein. Dabei versuchte ich keine allzu schnellen Bewegungen zu machen, um ihn nicht weiter aufzuregen. Nach etwas Bodenarbeit schwang ich mich aber in den Sattel und die ersten drei Ritte verliefen auch gut. Wir übten etwas Nachgiebigkeit und drehten unsere Runden im Roundpen.
 
Vinnie, wie Vincent van Gogh - da war wieder mal einer kreativ


Wie aus Vinnie VINCENT wurde

Nach einiger Zeit wurde Vinnie allerdings zu Selbstbewusst und ich landete nach einer schnellen Rodeo Runde im Sand – knirschte ganz schön zwischen den Zähnen. Mein linkes Knie war aufgeschürft und meine nagelneue, aus Deutschland mitgebrachte, Reithose war zerrissen – Grrr.


Mir wurde versichert, dass Löcher in der Hose ja modern seien und dass das die Hose nur aufwertet – ok, dann muss ich aber immer dran denken das Knie auch mit einzucremen

Na gut, kann passieren, bin ja nicht das erste Mal vom Pferd gefallen. Ich schwang mich direkt wieder drauf, damit das Pferd keine Lehre daraus ziehen konnte. Am nächsten Tag machte ich etwas Anti-Schrecktraining, in dem ich leere Futtersäcke an seinen Sattel band und ihn damit laufen ließ.

Vinnie beim Anti Schrecktraining

Vinnie blieb ganz cool. Einen Tag später wagte ich mich wieder in den Sattel. Die ersten 10 Minuten verliefen gut, bis der Gaul plötzlich losbuckelte wie ein Wilder. Diesmal war ich darauf gefasst und hielt mich am Sattel fest. Das Pferd buckelte immer heftiger und nach einigen, ewig langen Sekunden konnte ich mich auch nicht mehr halten. Beim echten Rodeo gelten 8 Sekunden auf dem Wildpferd übrigens schon als Erfolg! Ich verfehlte den Zaun des Roundpen nur knapp und landete auf meinem Rücken. Ich hörte es: „knack-knack-knack“, meine oberen Brustwirbel waren eindeutig rausgesprungen. Ich konnte kaum Atmen oder mich bewegen und starrte erst einmal in den Himmel und versuchte mich zu sammeln. Um Hilfe zu rufen konnte ich mir sparen, denn die Jungs waren alle ausgeflogen. Irgendwann versuchte ich meine Hände und Füße zu bewegen – ok die spürte ich noch… Ein paar Minuten später konnte ich mich dann auf die Seite rollen und mein Handy unter mir hervorziehen. Leider hatte mein Telefon den Aufprall auch nicht schadlos überstanden und sich vor Schreck neugestartet. „Bitte PIN eingeben“, begrüßte mich das verflixte Ding. Verdammt, was war noch mal die Nummer meiner namibischen SIM Karte? Keine Ahnung, ich stellte das Handy ja nie aus. Vor lauter Wut fing ich laut an zu heulen und schlug mit meiner Faust in den Sand, der ja am wenigsten dafürkonnte. Ich verfluchte das verdammte Pferd, und wollte nur noch nach Hause… Mamaaaaa

Als ich irgendwann aufstehen konnte, sammelte ich Vincent ein und band ihn am Putzplatz fest. Ich versorgte meine anderen Pferde in Zeitlupe und als endlich einer der Arbeiter vorbeikam, bat ich ihn Vincents Sattel weg zu räumen. 

Out of Order

Den Rest des Tages verbrachte ich jammernd im Bett und schluckte eine Haufen Ibu. In den nächsten Tagen verfärbte sich mein unterer Rücken blau und die Schmerzen zwischen den Schultern waren kaum noch zu ertragen. Aber was soll man machen – ein Cowgirl kennt keinen Schmerz – die Arbeit machte ja sonst keiner und die Pferde mussten bewegt werden. 

Ich erinnerte mich an eine Folge der Simpsons: Homer hatte sich beim Rodeo (!) den Rücken so schwer verletzt, dass ihm keiner helfen konnte. Irgendwann viel er rücklings über eine alte Mülltonne, die ihm auf magische Weise den Rücken einrenkte. Gewitzt wie er ist, machte Homer daraus ein Business und knöpfte jedem, der in der langen Schlange vor seiner Garage wartete, Geld ab, um einmal über die Wundertonne geworfen zu werden – knack! Irgendwann haben sich die ansässigen Chiropraktiker zusammengetan und die Tonne verbeult – aus war es mit Homers Geldsegen. Ich wünschte mir händeringend eine solche Tonne!!!

Dr. Homers magischer Rückgratzylinder

Die Schmerzen ließen auch in den nächsten Tagen nicht nach. Als es nach vier Wochen noch nicht besser war, bat ich Wulff mich auf seiner nächsten Windhoek Tour mitzunehmen. In der Nähe gab es leider niemanden, der mich einrenken konnte. Wulff würde mit der Lorry in die Hauptstadt fahren, weil er Schafe und Gänse transportieren musste. „Überleg dir das gut ob du mitkommen willst, das wird eine Höllentour“, warnte er mich. Da ich ohne Schmerztabletten aber kaum noch atmen konnte, nahm ich das dankend in Kauf. 

Auf zu Dr. Knacki

Somit lag eine 12 Stunden Autofahrt vor uns, die sich dann noch um eine weitere Stunde verlängerte, weil wir einen Platten hatten. Zum Glück passierte dies in der Nähe einer Farm, von der wir einen der Arbeiter „ausleihen“ durften, der Wulff beim Lösen der riesigen LKW Schrauben helfen konnte. Ich reichte nur Dinge an und war dafür zuständig die Handbremse zu lockern und wieder festzustellen, wenn die beiden den Reifen drehen mussten. Eine ganz schön schweißtreibende Angelegenheit, in der prallen Mittagssonne. Außerdem hatten wir noch 45 Schafe und 20 Gänse im Laster, die dringend auf die Kühlung durch den Fahrtwind angewiesen waren – die Uhr tickte also.

Das Rad bei so einem LKW Reifen zu wechseln ist nicht leicht. Hier dreht Wulff auch noch in die falsche Richtung…

Nach über 13 Stunden kamen wir dann aber endlich in Windhoek an. Da das Ganze auch noch vor dem Corona-Ausbruch in Namibia passierte, hatte ich drei Nächte im Hostel vor mir und dadurch ein bisschen Abwechslung zum einsamen Wüsten-Alltag. Natürlich war der Windhoek Trip auch noch mit jeder Menge Terminen gespickt, sowie einer XXL-Shopping Tour, die einem Corona-Hamsterer den Atem verschlagen hätte.
Am Tag nach unserer Ankunft hatte ich morgens um 7:30 Uhr zum Glück noch einen Termin bekommen. Der Chiropraktiker war super sympathisch und freute sich riesig, dass ich ihm so viel Arbeit bot. Der Termin dauerte knapp eine Stunde und hat nur die Hälfte gekostet, von dem was ich zuhause bezahlt hätte. Ich fühlte mich das erste Mal wieder beweglich und war mega Happy! Auch wenn die Schmerzen noch nicht komplett verschwunden waren, ich konnte immerhin wieder auf dem Pferd sitzen und mich nach meinen Gästen umdrehen, um zu schauen ob diese noch auf ihren Gäulen saßen.

Ich kann mich wieder umdrehen - Juhu!!!

Das passiert also, wenn man hier einen Unfall hat. Da heiß es aussitzen und hoffen, dass bald mal jemand in die Stadt fährt. Ok, wenn es etwas ernsteres wie ein gebrochener Knochen oder ein ausgestochenes Auge gewesen wäre, hätte man mich sicher eher ins Krankenhaus gefahren – Denke ich…

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