DIY a la Afrika – Doktor Tommy – Teil 2


Nach dem letzten Teil „DIY a la Afrika“ hatte ich euch mehr Action versprochen – bitte schön…
Ende März hatten wir insgesamt 7 junge Hengste im Cowboycamp. Da Hengste nichts für Touries sind, mussten die Herren irgendwann ihre Männlichkeit einbüßen. Zwei besonders stattliche Exemplare, von denen der Chef einen gerne verkaufen und den anderen ggf. zur Zucht einsetzen wollte, wurden aussortiert und in ihre alte Heimat Korais (die zweite Farm der Familie) entlassen. Dort konnten sie, im wahrsten Sinne des Wortes, noch ein wenig ihre Eier schaukeln. Den anderen ging es an den Kragen.


DJ und Gino haben Glück gehabt

Eines Samstags kam Farmersohn Tommy dann mit seiner Frau Addie und zwei Freunden vorbei und wir trafen sämtliche Vorbereitungen für unser Schlachtfest. Es wurden Narkose- und Betäubungsmittel eingepackt, Wasser abgekocht und Lappen desinfiziert…

Real Cowboy shit

Dann gings los. Der erste Hengst musste dran glauben. Ein stattlicher Fuchs, der die Kastration aber dringend nötig hatte. Er war mittlerweile sehr viel dünner als die anderen, weil er in seiner Freizeit nichts Besseres zu tun hatte, als die anderen Pferde zu jagen und zu beißen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch der Verursacher von Snickers Fleischwunde war. Also allerhöchste Zeit für: Schnipp Schnapp.

Tommy spritze ihm das Narkosemittel und wartete eine gewisse Zeit, bis das Pferd müde wurde. Dann wurden ihm Taue umgelegt, die so verknüpft waren, dass man das Pferd zu Fall bringen konnte, ohne dass es sich dabei die Beine bricht. Liegt das Pferd am Boden, schlingt man die dicken Taue schnell um die Hinterbeine und fixiert diese. Das sieht alles recht brutal aus, aber wenn es richtig gemacht wird und das Pferd ordentlich sediert wurde, ist es halb so schlimm. Die Seile dienen vor allem als Schutz für den Menschen, denn so ein sediertes Pferd kann unberechenbar sein. Ein kleiner Kick in die richtige Richtung und das wars dann…

Die Seile helfen dabei das sedierte Pferd langsam hinunter zu lassen

Sobald das Pferd im Sand des Roundpen lag, schob einer der Helferlein eine Decke unter seinen Kopf, ließ diesen langsam herab und bedeckte sein anderes Auge. Dann stellte sich Tommy an die Kruppe (hinterer Bereich des Rückens), fixierte den Schweif mit seinem Fuß, beugte sich über das Pferd, reinigte die entsprechende Stelle und setze noch eine örtliche Betäubung.

Teamwork – Jeder muss wissen was zu tun ist

Dann ging alles sehr schnell. Ein Schnitt in den Hodensack und das Blut begann zu fließen. Als nächstes wurde das Ei rausgedrückt und mit der Kastrationszange abgekniffen. Das Geräusch muss man sich in etwa so vorstellen, wie wenn man mit einer Geflügelschere den Brustkorb eines Brathähnchens aufschneidet – krrraaack. Den anwesenden Männern jagte das jedes Mal einen kalten Schauer über den Rücken: „oh mein Gott, dieses Geräusch!“

Da liegt das Bällchen im Sand

Hier klemmt Tommy gerade den Samenleiter ab

Fällt das Bällchen auf den Boden, wartet man noch so 30 Sekunden, um die Samenleiter abzukneifen, wodurch die Blutung gestoppt wird. Dann ging es schon an den zweiten Hoden – wieder dieses Geräusch und wieder dieser Schauer… War das zweite Ei dann auch in den Sand geplumpst, reinigte Tommy die Stelle mit warmem Wasser und einem sauberen Lappen. Danach gab es noch einen Schuss Debrizyme in die entleerten Hodensäcke, damit sich hier nichts entzündet und Wundspray großflächig über die Schnittstellen.

Addie assistiert

Schnell wurde das Pferd entknotet und bekam noch einen festen Klaps auf den Po, damit es aufsteht. Plötzlich einige Gramm leichter, taumelte das beduselte Pferd in einen der Paddocks, wo es erstmal wie ein Häufchen Elend das Mitgefühl der Umstehenden erntete – armes Kerlchen.

Murphy`s law – was schief gehen kann geht schief

So viel zur Theorie, natürlich lief nicht immer alles super glatt. Der erste Hengst schaffte es, nach Abtrennung seines ersten Eies sich aus seinen Fesseln zu lösen und aufzuspringen. Innerhalb von Sekunden hatten die Männer ihn aber wieder eingefangen und zu Boden gerungen, wo er stöhnend liegen blieb. Das Problem war nun, dass er damit den zuvor via Kastrationszange abgeklemmten Samenleiter wieder geöffnet hatte, was die Wunde stark zum Bluten brachte. Die leeren Säckchen werden nicht zugenäht, weil die Wundflüssigkeit und das Blut ablaufen müssen. Beim Menschen hätte man wohl eine Drainage gelegt. Wir beobachteten den frisch erschaffenen Wallach vorsichtshalber und zum Glück hörte die Blutung nach ein paar Minuten von alleine auf.

Der halbe Hengst versucht aufzustehen

Kandidat Nummer zwei war ein besonders schwieriges Kerlchen. Ich prophezeite schon von Anfang an, dass er das größte Problem darstellen würde. Er ließ sich überraschend brav die Injektion verpassen und wir warteten die entsprechenden Minuten. „Man muss hier immer aufpassen, dass die keinen Adrenalinstoß bekommen, dann kann die Sedierung ins Gegenteil umschlagen,“ wusste Tommy. Und was geschehen kann, geschah natürlich auch. In dem Moment als die Seile die Beine des Schecken berührten, rastete dieser aus, trotz oder eben wegen der Sedierung drehte das Pferd komplett durch. Er kickte was das Zeug hält, bockte, sprang und prustete. In einem Moment sah ich Tommy schon wie eine Fliege an der Wand des Roundpen kleben, dieser rettete sich aber in letzter Sekunde rückwärts aus der Gefahrenzone. Einen der Arbeiter verfehlte der Schecke haarscharf am Kopf. „Ist das der bisher Schlimmste?“, fragte ich Tommys Frau Addie, die ihm stets bei den Kastrationen assistierte. „Definitiv einer der Schlimmsten!“, antwortete sie mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Das war jetzt wirklich echter Cowboyscheiß, ich war erschreckt und beeindruckt zugleich.

Frei nach dem Motto: „Everyone want`s to be a Cowboy, till it´s time to do real Cowboyshit“

Ich weiß nicht mehr wie viel Zeit verging, aber als ich gerade fragen wollte, ob wir es gut sein lassen wollen, hatten die Männer ihn soweit und er lag am Boden. Dort lief dann alles reibungslos. Der Gaul hatte zwar einige Striemen von den Seilen davongetragen, aber ich war mir sicher, dass die bei nachlassender Betäubung sein geringstes Problem sein würden.

Pferd Nummer drei, Arbeitstitel „the Kicker“, machte keine großen Probleme, hier musste nur einmal die Verschnürung korrigiert werden. Die Männer hatten im Eifer des Gefechts einen kleinen Fehler gemacht, der Tommy hätte bitter zu stehen kommen können. Da die Schlinge von der falschen Seite aus angelegt war, schaffte es der (noch) Hengst beinahe ihn zu treten. Bei solchen Aktionen hatten erfahrene Tierärzte schon schlimme Verletzungen davongetragen. Der namibische Tierarzt, bei dem Tommy sein Handwerk gelernt hat, hat die Pferde am liebsten im Stehen kastriert, was ihn sein linkes Auge kostete. Auf solche Risiken konnten wir gerne verzichten.

Die Schlinge muss richtig sitzen, sonst kann das ins Auge gehen

Pferd Nummer vier war artig, bei ihm wirkte die Sedierung sehr gut und Tommy meinte: „der wird sicher mal ein nettes Touri Pferdchen.“ Vielleicht war er hier etwas zu entspannt. Beim ersten Cut zuckte das Tier doch kurz und er schnitt sich selbst tief in den Daumen, mit dem Skalpell, an dem ja bereits jede Menge Pferdeblut klebte… ich rannte los und holte die einzige sterile Mullbinde die wir hatten. Die war dann auch direkt durchgeblutet und wir wickelten provisorisch einen halbwegs sauberen, trockenen Lappen um seine Hand und fixierten diesen mit Duct Tape. Während Tommy seinen Blutsbruder, welcher ja bereits am Boden lag, zu ende kastrierte, rief ich bei seiner Mutter an, damit sie sauberes Verbandsmaterial für Menschen vorbeibrächte. Anke war in Nullkommanix da, noch bevor Tommy mit der Kastration fertig war. 

„Freda hat gesagt Tommys Finger wäre fast ab“, scherzte Anke, „so schlimm ist es doch gar nicht!“ Tommy war allerdings sicher beim Schneiden den Knochen gespürt zu haben: „ist ja zum Glück ein dünnes Messer was?“, witzelte er. „Besser als ein Brotmesser immerhin“, antwortete ich und spritze ihm etwas Betadin (Jodlösung) auf den Schnitt. „Au verdammt, das brennt“, rief er erschrocken und zog die Hand ruckartig zurück. Dann machte er das Gepruste der Pferde nach und tat so, als wollte er mich kicken. „Genau das solls auch!“, antwortete seine Mutter und drückte ihm eine Kompresse mit Betaisodona auf den Schnitt und verband diesen mit Pflastertape. Tommy wollte direkt weiter schnippeln, aber ich bestand darauf, dass er vorher einen Handschuh über seine verbundene Hand zog, damit er nicht mit noch einem der Ponys Blutsbruderschaft schließen würde. „Früher habe ich das auch immer mit Handschuhen gemacht, aber ich mag das nicht so, Händewaschen reicht“. Ok, wenn er meint…

Zu guter Letzt war Snickers dran, der aufgrund seiner geringen Körpergröße viel stärker auf das Narkosemittel ansprach. Keine Panik, ihm ist nichts passiert, es war nur wirklich drollig, wie er mit breiten Beinen aus dem Roundpen rausgetorkelt kam. Seine Bällchen waren auch nur halb so groß wie die seiner Kollegen, ein wahres Pony halt.

Bloß nicht das Falsche abschneiden!

Die insgesamt 10 Eier habe ich dann im Anschluss eingesammelt, um zu verhindern, dass die Hunde sie fraßen. Grundsätzlich eine Delikatesse für die Wuffis, aber bitte nicht mit dem ganzen Betäubungsmittel drin.

Tommys Wurfgeschoss – mit Pferdehoden wurde ich auch noch nie Beworfen, wirklich nicht
  
That´s Afrika

„Nächstes Mal bist du dran!“, scherzte Tommy – also ich hoffe zumindest, dass das ein Scherz war!
Ich hätte echt Tiermedizin studieren sollen anstatt Marketing. Bisher dachte ich, ich wäre so zart besaitet und könnte weder Blut noch Nadeln sehen. Das hat sich mittlerweile erledigt. Ok, die Spritzen setzen immer noch andere für mich, aber ich pulte täglich mit meinen bloßen Händen in Snickers Wunde herum und drückte den Eiter aus seiner Tasche, knibbelte die Grashalme aus seinem Fleisch, wusch blutige Lappen aus, zog Spritzen mit Pferde-Antibiotika auf oder reinigte blutverschmiertes Werkzeug. Auch beim Anblick klaffender Wunden wurde mir nicht mehr schlecht. Es ließ mich zwar nicht kalt, aber ich kotzte auch niemandem vor die Füße. Bald muss ich wirklich lernen wie man Spritzen setzt und meine persönliche Phobie überwinden. Man muss hier einfach über seinen Schatten springen! Die Stadt-Freda hätte das nicht gekonnt, aber die Namibia-Freda ist wesentlich taffer. Bringt mir ja auch nix, wenn ich ohnmächtig werde...
 
So, lieber Murphy, ich atme jetzt noch nicht auf! Wie du hörst, hörst du nix! Die nächsten Tage müssen die Hengste – äh Wallache – beobachtet werden und wir müssen ihre Wunden reinigen und mit Wund Öl einsprühen, damit sich nichts infiziert. In etwa einem halben Jahr werden sie vergessen haben, dass dort einmal zwei kleine Bälle hingen, die Testosteron in ihr Gehirn gepumpt haben und hoffentlich etwas entspannter werden. Ich freue mich schon darauf berichten zu können, welchen von den Fünfen ich das erste Mal geritten bin. Bis dahin halte ich euch mit weiteren ungewöhnlichen Alltagsgeschichten auf dem Laufenden.

Kommentare

  1. Oha,.das ist ja fast schon die Königsdisziplin für cowgirls. Habt Ihr auch Jungbullen kastriert und falls ja werden Ihnen die "balls" nur abgeklemmt oder kommen Sie auch unters Taschenmesser :-)
    Grüsse Anne

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    1. Hi Anne, für die Bullen bin ich nicht zuständig, aber die werden in Namibia meist mit einem gummi Ring um die Eier kastriert. Mein Boss lässt sie aber gerne unkastriert, weil sie so schneller, mehr Masse aufbauen und bessere Preise bringen.
      Grüße
      Freda

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    2. Hallo Freda, danke, Ah ok, das habe ich mal bei Lämmern gesehen. Wusste gar nicht, dass das auch bei Bullen geht. Schon bei den Lämmern war ech ein echtes Gefummel die Eier(chen) in das Gummiband zu drücken, gerade er nn sie nicht mehr ganz jung waren .... Aber ist ja eh schicker, wenn sie bei Euch nicht kastriert werden und alles baumelt :) Gute Zeit und Grüsse Anne

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